Schatzkiste Spezialsammlungen – Manuskriptkarten von Hans Conrad Finsler
Seit wann liegt Locarno am Golpho della Pendia? Eine handgezeichnete Karte verortet den Tessiner Ort am Lago Maggiore ans unbekannte Gewässer. Wie kann dies erklärt werden? Manuskriptkarten, welche in der Bibliothek am Guisanplatz BiG digital zugänglich sind, geben die Antwort.

Das «Konvolut Wurstemberger/Finsler» der Bibliothek am Guisanplatz BiG umfasst eine Privatsammlung von 200 bis 300 Karten, einen grossen Buchbestand und ein paar wenige Objekte. Die private Kartensammlung enthält neben gedruckten Karten auch zahlreiche Manuskriptkarten. Leider sind diese handgezeichneten Karten oft nicht signiert, können aber mit grosser Wahrscheinlichkeit Hans Conrad Finsler zugeschrieben werden.
Locarno am Golpho della Pendia und die Kriegsspielkarten
Einige der Manuskriptkarten geben Rätsel auf: Wo liegt der Golpho della Pendia? Wer kennt Dolmanza oder Atrabia? Kein Kartenportal oder Verzeichnis kennt diese Ortschaften.
Hans Conrad Finsler liess beim Zeichnen der sogenannten «Kriegsspielkarten» seiner Fantasie freien Lauf, erschuf neue Ortsnamen und Gewässer, verlegte Berge und Dörfer in neue Gegenden. Wozu dies? Es ist anzunehmen, dass anhand solcher Karten militärische Taktiken und Strategien geübt wurden.
Bekannt sind «Kriegsspielkarten» aus dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, berühmt sind die Karten von Andreas Hefti (vgl. Literatur und Links unten). Offiziere pflegten in den Wintermonaten an ihren Gesellschaftsabenden das sogenannte «Kriegsspiel». Mit Plänen und markierten Truppen wurden taktische und strategische Fähigkeiten geübt.
Offensichtlich wurden bereits zu Finslers Zeiten ähnliche theoretische Übungen durchgeführt wurden. Bemerkenswert ist, wie detailliert Hans Conrad Finsler seine fiktiven Karten ausgearbeitet hatte.
Hans Conrad Finsler (1765 – 1839)
Hans Conrad Finsler war Ende des 18. Jahrhunderts bis 1829 ein politisch, wirtschaftlich und militärisch bedeutender und einflussreicher Mann.
In seiner politischen Laufbahn amtete Finsler unter anderem als Finanzminister der Helvetik (1798-1799), war im Kanton Zürich Gross- und Kleinrat (1803-1829), bekleidete das Amt des Staatsrats (1814-1829) und präsidierte das Kaufmännische Direktorium Zürichs (1806-1829). Daneben nahm Hans Conrad Finsler Einsitz in zahlreiche eidgenössische und kantonale Kommissionen.
Finsler durchlief daneben eine beachtliche militärische Karriere. So war er ab 1795 Generaladjutanten der Artillerie und bekleidete 1804 bis 1829 das Amt des Eidgenössischen Oberstquartiermeisters. In dieser Funktion plante er den Ausbau des eidgenössischen Befestigungswesens und initiierte die topographische Vermessung der Schweiz. Während der Grenzbesetzung 1815 stand Finsler vorübergehend als Oberbefehlshaber der eidgenössischen Armee im Einsatz.
1829 erlitt die durch seinen Bruder geführte Bank Konkurs und zwang Hans Conrad Finsler, von all seinen Ämtern zurückzutreten. Er musste Zürich verlassen, zog nach Wittigkofen bei Bern und war bis zu seinem Tod im Jahr 1839 für die Kommission für Landesaufnahme tätig. Finsler begleitete dadurch weiterhin die Vermessung der Schweiz, welche durch Guillaume-Henri Dufour, Oberstquartiermeister ab 1832, neu lanciert und stark vorangetrieben wurde.
Das «Konvolut Wurstemberger/Finsler»
Der von der BiG als Nachlass von Schloss Wittigkofen bei Bern, dem Sitz der Familie Wurstemberger, übernommene Bestand geht zurück auf Johann Ludwig Wurstemberger (1783¬–1862) und Hans Conrad Finsler (1765–1839). Sie bekleideten aufeinanderfolgend das Amt des Oberstquartiermeisters und trieben in dieser Eigenschaft Anfang des 19. Jahrhunderts die Landesvermessung der Schweiz voran. Die Nachfahren von Wurstemberger ergänzten die private Kartensammlung bis ins 20. Jahrhundert.
Sämtliche Manuskriptkarten aus diesem Konvolut können über das Rechercheportal Alexandria studiert und heruntergeladen werden.
Literaturempfehlungen der BiG:
Weiterführende Links:
- Finsler, Hans Conrad (hls-dhs-dss.ch)
- Wurstemberger, Johann Ludwig (hls-dhs-dss.ch)
- Dufour, Guillaume Henri (hls-dhs-dss.ch)
- Eidgenössische Kartographie (basler-bauten.ch)
- Rickenbacher, Martin. Triangulation priomordiale. In: Cartographica Helvetica Heft 54/2017
- Klöti, Thomas. Kartensammlungen als Landschaftsgedächtnis.
- Topographische Karte der Schweiz – Wikipedia
- Kriegsspiel (Planspiel) – Wikipedia
- Andreas Hefti, Topograph und Kartograph 1862-1931 (e-periodica.ch).
- Andreas Hefti: Kriegsspielkarte (1896) und Kriegsschauplatz Südafrika (1900) | Kartenportal
- Philipp von Hilgers, Kriegsspiele. Eine Geschichte der Ausnahmezustände und Unberechenbarkeiten, Paderborn, 2008.
- Rolf F. Nohr / Stefan Böhme: „Die Auftritte des Krieges sinnlich machen“. Johann C. L. Hellwig und das Braunschweiger Kriegsspiel. Braunschweig, 2009
