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Vor 80 Jahren: General Guisan hält den Rütli-Rapport

General Henri Guisan überschritt 1940 mit seiner politischen und wenig militärischen Rede auf dem Rütli zwar Grenzen, machte das Réduit damit aber zu einem nationalen Symbol. Wie er zur Ikone der Aktivdienstgeneration wurde, zeigt die Dokumentation der Bibliothek am Guisanplatz BiG.

24.07.2020 | Bibliothek am Guisanplatz, Manuel Bigler

Ums Rütli als symbolische "Wiege der Schweiz" ranken sich unzählige Mythen. Etliche dagegen messen der Grünfläche und ihrer Vergangenheit kaum Gewicht bei. Vom damaligen Parteipräsidenten der SVP und heutigen Bundesrat Ueli Maurer ist sogar überliefert, dass er den Erinnerungsort 2007 bloss als "Wiese mit Kuhdreck" bezeichnete.

Besonders der Rütli-Rapport, welcher am 25. Juli 1940 vor imposanter Alpenwelt stattfand, prägte den Diskurs über die Bedeutung des Ortes. Nicht Wenige sind der Meinung, an dieser Stätte sei mit diesem Anlass durch General Henri Guisan Geschichte geschrieben worden.

Die Schweiz in bedrohlicher Lage

Vielmehr als der imposante Blick auf den Vierwaldstättersee und die umliegenden Berge dürfte die etwa 400 Offiziere (Schätzung des Guisan-Biografen Willi Gautschi) vor 80 Jahren die Rede des Oberbefehlshabers der Schweizer Armee in ihren Bann gezogen haben. Zu diesem Zeitpunkt war die Schweiz nach der überraschenden Niederlage Frankreichs von den Achsenmächten umschlossen. Die Angst vor einem unmittelbaren Kriegsausbruch im Land war gross.

Trotz der vielen Teilnehmer am Anlass bleiben bis heute zwei zentrale Aspekte der Rede Guisans nicht restlos geklärt. Was hat er genau gesagt? Und in welcher Sprache? Seit Jahrzehnten versucht die Forschung, diese Fragen zu klären. Erschwert wird die Rekonstruktion durch die Tatsache, dass keine Journalisten eingeladen waren. Ein einziger aufgebotener Fotoreporter (Theo Frey) schoss Bilder und zwei Männer des Pressebüros des Armeestabs waren anwesend, um vier Tage später eine Pressemitteilung über den Anlass zu veröffentlichen.

Guisan stärkt den Widerstandswillen der Armee

Gautschi zitiert einige Teilnehmer, welche in ihren Erinnerungen an den Anlass widersprüchliche Aussagen machten, ob sich der General auf Deutsch oder Französisch an die Offiziere richtete. Er geht allerdings aufgrund seiner Recherchen davon aus, dass der Romand grösstenteils frei in seiner Muttersprache referierte, da dies einer dieser Zeugen gleichentags in seinem Tagebuch notierte.  Bloss gewisse Zitate habe er wortwörtlich in beiden Sprachen abgelesen. Übereinstimmmend erinnern sich die Teilnehmer, dass er eine kurze, prägnante Rede von weniger als einer halben Stunde hielt.

Lange als verschollen galt das Manuskript, welches von Guisans persönlichem Stab ausgearbeitet worden war und ganze 26 Seiten umfasste – 15 Seiten Rede und elf Seiten Briefauszüge. Der damalige Bundesarchivar Dr. Oscar Gauye entdeckte und veröffentlichte es zur Überraschung der Öffentlichkeit 1984 im Wortlaut mit einer ausführlichen Kontextualisierung. So konnten die Forscher den Text mit den bis dahin bloss mündlich überlieferten Aussagen abgleichen. Gauye wies nach, dass Guisan den umfangreichen Inhalt aus Zeitgründen auf das Wesentliche kürzen musste: Die Offiziere vom Sinn des Réduit zu überzeugen und den Widerstandswillen der Armee zu stärken.

Zwischen Anpassung und Widerstand

Der Geist des Rapports verbreitete sich in der Folge landesweit und machte Guisan zur nationalen Integrationsfigur, als dessen Ausdruck sein Bild in unzähligen Gaststuben und vielen Wohnungen des Landes zu hängen kam. In den letzten Jahrzehnten wurde die Rolle des Generals für die Schweiz während des Zweiten Weltkrieges allerdings kontrovers diskutiert.

Währenddem über dessen Charisma und die Wichtigkeit des Rütli-Rapports für die Schweiz weitgehend Einigkeit herrscht, weisen Forscher darauf hin, dass der Heldenstatus Guisans relativiert werden sollte. Er habe ja sowohl mit Frankreich als auch mit Deutschland verhandelt oder verhandeln wollen.

Nicht bloss das Verteidigungsdispotiv des Réduit und die Demonstration des Widerstandswillens auf dem Rütli hätten die Achsenmächte von einer Invasion abgeschreckt. Die guten und wichtigen wirtschaftlichen Beziehungen mit der Schweiz hätten diesen Entscheid ebenso beeinflusst.


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