Schatzkiste Spezialsammlungen – Schweizer Armeesanitätsdienst im 2. WK
Wie bereitete sich die Schweizer Armee zur Zeit des Zweiten Weltkriegs darauf vor, zehntausende Verwundete zu verarzten und zu pflegen? Zahlreiche Quellen im Bestand der Bibliothek am Guisanplatz BiG geben Zeugnis davon, wie der militärische Sanitätsdienst organisiert und was dabei geleistet wurde.
15.12.2021 | Bibliothek am Guisanplatz, Christine Rohr

Der Ausbruch der Spanischen Grippe 1918 hatte gezeigt, dass der Armeesanitätsdienst grössere materielle und organisatorische Defizite aufwies und die grosse Zahl Grippeerkrankter nur ungenügend bewältigen konnte. In der Truppenordnung von 1938 versuchte die Schweizer Armee, den Sanitätsdienst mit den Erkenntnissen aus der Kriegszeit und der Grippewelle besser für einen erneuten Kriegsfall zu rüsten.
Der personelle und materielle Ausbau der Sanitätsmannschaft und Transportkolonnen, eine verstärkte Motorisierung und die Schaffung von Sanitätsmaterialdepots sind einige Verbesserungen, welche den Sanitätsdienst leistungsfähiger machten.
Tatendrang des Oberfeldarztes
Die Verantwortung für die Armeesanität lag im Aktivdienst bei Oberfeldarzt Dr. Paul Vollenweider. Er setzte sich schon vor Kriegsbeginn stark für die Aus- und Weiterbildung des Sanitätspersonals ein und förderte die freiwillige Hilfe durch Krankenpflegerinnen, Samariter und Samariterinnen. Vollenweider verwirklichte zudem eine umfassende Seuchenprophylaxe, unter anderem mit dem Obligatorium der Impfungen gegen Pocken, Typhus, Paratyphus und Tetanus für alle Wehrmänner.
Mit der «Reihendurchleuchtung» sämtlicher Wehrmänner, Hilfsdienstleistenden und weiblichen Dienstleistenden (Total 516‘879 Personen) wurde unter Oberfeldarzt Vollenweider die Tuberkulose wirkungsvoll bekämpft. Er veranlasste zudem den Aufbau des Blutspendedienstes und grosser Sanitätsmaterialdepots. 1945 trat Vollenweider als Oberfeldarzt ab und wurde Direktor des Eidgenössischen Gesundheitsamtes.
Rasche Operationen retten Leben
Ärzte hatten aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs gelernt, dass eine rasche chirurgische Behandlung der Verwundeten Leben retten konnte. In den mit der Truppenordnung 1938 neu geschaffenen chirurgischen Ambulanzen sollten nun bereits in den Feldspitälern Operationen vorgenommen werden können, und nicht erst durch Chirurgen in den nachgelagerten Sanitätsanstalten im Hinterland. Rasch behandelte Bauchschüsse und frontnah durchgeführte Amputationen sollten die Todesrate senken.
Die bisher vorgesehene Nutzung von zivilen Spitälern erwies sich längerfristig als impraktikabel. Wo sollte sich die Zivilbevölkerung behandeln lassen, wenn die Spitäler mit verwundeten Soldaten gefüllt waren? Die Truppenordnung 1938 sah neu die Schaffung von bis zu zehn Militärsanitätsanstalten (MSA) im Kriegsfall vor, welche als Grossspitäler je bis zu 5’000 Verwundete aufnehmen würden. Jede Militärsanitätsanstalt bestand aus sieben Sektionen mit unterschiedlichen Aufgaben.
Frauen leisten erstmals Militärdienst
Geleitet wurden die MSA von Offizieren und Unteroffizieren des Landsturms. Eine genügende Anzahl an Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und Pflegepersonal zu finden, war eine grosse Herausforderung. Wertvoll war daher die Unterstützung durch Ärzte im Hilfsdienst und die Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Roten Kreuz, das die Sanitätstruppen und die Militärsanitätsanstalten mit Material und gut ausgebildetem Personal unterstützte. Frauen konnten dadurch erstmals (freiwilligen) Militärdienst leisten, nämlich als Krankenpflegerinnen, Samariterinnen oder Pfadfinderinnen. Sie bezogen einen Soldatensold und waren der Militärversicherung unterstellt.
Es bedurfte grosser organisatorischer Anstrengungen, genügend Platz für die Militärsanitätsanstalten zu finden. Diese in Schulhäusern und Hotels unterzubringen, erwies sich längerfristig oft als ungeeignete Lösung. Eine Folge der Réduit-Organisation ab Sommer 1940 war, dass die MSA grossenteils in Bergtäler disloziert wurden. Die Unterbringung in Gebirgshotels, welche häufig aus Holz gebaut waren, barg jedoch grössere Gefahren, wie der Brand im Hotel Baer in Grindelwald beweist. Die Lösung wurde schlussendlich in rund 300 Sanitätsbaracken gefunden, welche ab 1941 neu gebaut wurden. Die bisherigen grossen Militärsanitätsanstalten wurden in kleinere Spitalsektoren unterteilt, die grossen MSA in den Städten wurden aufgehoben.
Gerüstet für den Kriegsfall?
Wie gut sich die Organisation des Sanitätswesens mit den Militärsanitätsanstalten bewährt hätte, wenn die Schweiz in aktive Kriegshandlungen verwickelt worden wäre, ist nicht zu beantworten. Für die Behandlung der kranken und verwundeten Schweizer Soldaten – der Krankenbestand schwankte zwischen 4-6 Prozent des Armeebestandes – reichte die etablierten Einrichtungen gut aus.
Detaillierte Schilderungen zu den umfangreichen Aufgaben und zur Entwicklung des Sanitätsdienstes finden Sie in den Werken unseren Literaturempfehlungen und Quellen.
Literaturempfehlung
Quellen
Digitalisate BiG
- M.S.A. 3: Aktiv-Dienst ... 1939-1947. Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 2744)
- Conseils Pratiques pour le Commandant d' Amb. Chir. Von Capit. Galfré, 6.3.1940 Genf, in Franz Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 1479)
- Bericht über den Zentralkurs für Rotkreuzkolonnen 1938 in Basel, vom 29.3.-9.4.1938. Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 3485)
- Bericht über die Ausbildung der chirurg. Ambulanz IV/7 in der Zeit vom 4. November 1939 bis 10. Januar 1940 an der chirurg. Abteilung des Kantonsspitals Winterthur Bericht enthält: 3 Blätter mit Einzelfotos von HD Wild. Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 3486)
- Lüthi, K. (1939). [Notizheft zur Unteroffiziersschule I/41, Tagesrapporte der San Kp II/4 und III/5]. Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 3418)
- Journal pour Commandement de l'Armée, Service de santé, Commissaire des guerres, du 2 septembre 1939 au [23 décembre 1939] Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 3487)
- Tagebuch für Milit. San. Anstalt 4, Kommando. Militärsanitätsanstalt 4. 1939-1940. Online Ressource (physische Aufnahme: Signatur DU 3488)
Weiterführende Links
- Bruhin, Raimund (2014). 100 Jahre Sanitätsdienst der Schweizer Armee (1914-2014). Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift, 180(10), 36ff und 180(11), 23ff. Teil 1, Teil 2.
- Käser, Reinhold. In memoriam Oberstbrigadier Paul Vollenweider, ehemaliger Oberfeldarzt, 1888-1962, Sonderdruck aus: Vierteljahresschrift für schweizerische Sanitätsoffiziere 39(1962), Heft 2 (Link)
- Geschichte des SRK online - Der Rotkreuzdienst (redcross.ch)
- Als junge Samariterin im Aktivdienst (e-periodica.ch)
- Dossier BiG: Die Grippeepidemie 1918/19 (Link)
- Sanitätsbaracken: Dokumentation zum Inventar der militärischen Hochbauten der Schweiz (Hobim), S.112ff
- Vollenweider, Paul (hls-dhs-dss.ch)
- Militärischer Frauendienst (MFD) (hls-dhs-dss.ch)
- Réduit (hls-dhs-dss.ch)
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